MAYER Daniel, 2013, Transnationaler Aktivismus: gen Ernährungssouveränität

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MAYER Daniel, 2013, Transnationaler Aktivismus: gen Ernährungssouveränität, Bachelorarbeit an der Universität Wien, Internationale Entwicklung.

Konklusion der Arbeit

Im Angesicht meiner Aufarbeitung von La Via Campesina und der Nyeleni Bewegung bin ich zu dem Ergebnis gekommen, dass es sich dabei sehr wohl um eine Transnationale soziale Bewegung, beziehungsweise im Fall von ersteren um eine transnationale Bewegungsorganisation handelt. La Via Campesina ist eine nicht hierarchisch strukturierte Organisation mit dezentraler Führung und derzeit 164 Mitgliedsorganisationen in 79 Ländern, die als die primäre Kraft hinter der Bewegung für Ernährungssouveränität steht (Via Campesina 2013). Sie fungiert als INGO, dessen Mitgliedsorganisationen sich alle drei bis fünf Jahre zu einer internationalen Konferenz treffen um dort neue Themen, Probleme, Strategien und Aktionspläne zu besprechen und zu koordinieren. Da die meisten Organisationen schon zuvor auf nationaler Ebene existierten, haben sie völlige Autonomie bei Einzelaktionen, können sich jedoch immer auf Solidaritätserklärungen der Organisation verlassen. Die laufende Identifikation von gemeinsamen Zielen, Kämpfen und Feinden ist zentral für die permanente Rekonstruktion einer kollektiven Identität. Doch die zentralen Prinzipien dieser Identität als „People from the land“ basieren einerseits auf einem fundamentalen Bekenntnis zum Humanismus als Antithese zu Individualismus und Materialismus. Andererseits auf der intimen Beziehung zum Land und den gemeinsamen Kämpfen und Erfahrungen der Bauern und Bäuerinnen weltweit mit der Globalisierung (Desmarais 2007: 5f).

Insofern lässt sich die Bewegung für Ernährungssouveränität als transnationale Bewegung beschreiben, die ihren Fokus zum Teil auf die Konstruktion von Identitätspolitiken verlagert hat. Wie in Cohens Theorie beschieben, erstrebt die Bewegung nicht die Kontrolle über Staatsmacht zu erhalten, sondern versucht bestimmte Lebensbereiche vor dem Staat (oder in diesem Fall eher vor der WTO und den transnationalen Konzernen) zu schützen, indem sie die Demokratisierung und Transparenz von Entscheidungsfindungsprozessen fordert. Sie akzeptiert die Globalisierung von oben nicht mehr als Entwicklungsmodell und übt Widerstand durch Mobilisierung und Bewusstseinsschaffung aus. Zusätzlich präsentiert sie Alternativen zu den dominanten Modellen, indem innerhalb des weit zerstreuten Netzwerks aus Individuen und Kollektiven ein alternatives System an Bedeutungen erschaffen wird, die sich in Alltagshandlungen und Lebensweisen manifestieren. Diese Aktionsformen sind widerständige Praktiken, die sich in einen breiteren Kontext der Anfechtung globaler Machtstrukturen fügen. In dieser ganzheitlichen Perspektive verbinden sich die Ziele und Forderungen der Bewegung dann auch mit denen anderer Gruppen und bilden ein globales Solidaritätsnetzwerk, das ein wichtiges Instrument beispielsweise für marginalisierte Gruppen in autoritären Staaten darstellen kann. Folglich identifiziere ich die Bewegung für Ernährungssouveränität auch als eine territorial losgelöste transnationale Gemeinschaft aus autonomen und solidarischen Individuen, die durch identitätspolitische, alternative Lebensstile und Praktiken ihre Privatsphäre politisieren und danach streben fundamentale Veränderungen im sozialen und kulturellen Leben zu vollbringen.

Im Zusammenhang mit dem derzeitigen wissenschaftlichen Profil sozialer Bewegungen im Allgemeinen, positioniert sich die Nyeleni Bewegung an der innovativen Spitze einer sich langsam herausbildenden globalen Zivilgesellschaft, die für eine gerechtere Welt eintritt. Ein langer Prozess, der seine ersten Züge mit dem Abolitionismus angenommen hat und sich in den letzten Jahrzehnten durch die Revolution der Informationstechnologien wesentlich beschleunigt hat. Mit der Bezugnahme auf Menschenrechte bekommen die Forderungen sozialer Bewegungen eine Dimension, die den nationalstaatlichen Rahmen übersteigt und erhalten einen universalen Charakter. Nach Hannah Arendt ist das erste Recht, das Recht Rechte zu haben. In vielerlei Hinsicht ist die Forderung nach Ernährungssouveränität nichts anderes als das Recht Rechte über Ernährung zu haben. Indem über das Recht gesprochen wird Agrargesetze zu formulieren, unterscheidet es sich von einem Privileg. Das moderne Lebensmittelsystem wurde von einigen wenigen Privilegierten entworfen. Ernährungssouveränität deutet darauf hin, dass das illegitim ist, da der Entwurf unserer Gesellschaftsordnung nicht das Privileg von einigen wenigen, sondern das Recht von allen ist. Die Verwendung einer rechtsbasierten Sprache verleiht dem Konzept enormes Potential für die Zukunft (Patel 2009: 663, 667).