Commons und der Zugang zu Land – Workshop Input „Gemeingüter“

02. Mai 2014 | Nyéléni Austria

Workshop „Gemeingüter“, Input zum Nyéléni Forum Österreich, 13. – 17. April 2014

[via kärnöl, ÖIE]

von Andreas Exner

Die Vielfachkrise von Ernährung, Energie und Klima, des Sozialen und der Demokratie hängt eng mit dem Kapitalismus zusammen. Die Land- und Ernährungsfrage ist ein integraler Bestandteil dieses Krisenkomplexes. Ernährungssouveränität bedeutet in meinem Verständnis ganz wesentlich, Wege aus diesen vielfachen Krisen zu finden. Dafür ist ein gewisses Verständnis des Kapitalismus notwendig. Unter Kapitalismus verstehe ich eine Wirtschaftsweise, die auf Isolation, Konkurrenz und einem zerstörerischen Wachstum beruht. Zerstörerisch ist dieses Wachstum, weil es am Profit orientiert ist und nicht am konkreten Bedürfnis.

Die Trennung der Menschen durch den Kapitalismus

Für den Kapitalismus sind zwei Achsen der Trennung zwischen den Menschen zentral. Die erste Trennung verläuft zwischen den Produzierenden und den Produktionsmitteln, also den Maschinen, Rohstoffen, Fabriken, und dem Land. Die zweite Trennung verläuft zwischen den Produzierenden und den Konsummitteln. Diese Achsen der Trennung markieren das Kapitalverhältnis, die Lohnarbeit, auf der einen Seite, und die Marktwirtschaft auf der anderen.

Das Geld ist eine Verdinglichung dieser Trennungen, das heißt eine Institution, die diese Trennungen verkörpert. Sie prägt die kapitalistische Gesellschaft insgesamt, und das Ernährungssystem im Besonderen. Wer hungert, bekommt Nahrungsmittel nicht einfach so, weil sie oder er sie benötigen, sondern nur im Austausch gegen Geld. Weil die Gesellschaft einen unauflöslichen sozialen Zusammenhang darstellt, und wir alle untrennbar voneinander abhängen, führen die beiden Achsen der Trennung, die der Kapitalismus setzt, zu Elend, Leidenserfahrungen und zu Krisen.

Die erste der beiden Trennungen ist, wie schon erwähnt, die Lohnarbeit. Wir müssen uns in der Regel gegen Geld ver-dingen, werden zu einer so genannten Ware Arbeitskraft, weil wir nicht mehr über die Produktionsmittel verfügen. Auf diese Weise wird ein Mensch zu einer Art von Ding, zu einem Produktions- und Kostenfaktor. Die zweite Trennung bedeutet, dass wir unser Leben erst ver-dienen müssen. In der Marktwirtschaft zählt allein die Kaufkraft, nicht das Bedürfnis, etwa nach Nahrung.

Historisch nimmt die Herausbildung dieser Trennungen zwei Verlaufsformen an. Zum einen kommt es zu einer sich über Jahrhunderte erstreckenden Enteignung der Bäuerinnen und Bauern. Sie verlieren den Zugang zu Land und damit ihre Daseinsmächtigkeit. Zum anderen geht damit folglich ein enormer Verelendungsschub einher. Eine große Zahl von Menschen verliert den Zugang zu dem vor dem Kapitalismus teilweise gemeinschaftlich genutzten Land.

Exklusion übertrumpft Inklusion

Prozesse der Enteignung dauern auch heute an, sie verstärken sich sogar im Zuge der Vielfachkrise. Das viel diskutierte Land Grabbing können wir als eine erneute Zuspitzung dieser Entwicklung begreifen. Allerdings mit einem gewichtigen Unterschied: Während historisch die Enteigneten zu einem großen Teil in einer wachsenden Industrie Beschäftigung fanden, werden die heute von „Freisetzung“ bedrohten Bäuerinnen, Bauern und andere Gruppen, die vom Land leben, kaum mehr von einer kapitalistischen Industrie als Arbeitskräfte nachgefragt. Historisch ist die Exklusionslogik des Kapitalismus immer mit einer Inklusionslogik einhergegangen, die von den Gewerkschaften, aber auch von den sozialdemokratischen und kommunistischen Parteien grundsätzlich mitgetragen worden ist. Das Wachstum der Industrie und die Schrumpfung der Bauernschaft wurden in deren Sicht als zwei notwendige Aspekte des Weges zum Wohlstand betrachtet.

Inzwischen dominiert die Exklusionslogik des Kapitalismus allerdings immer mehr über seine inklusiven Seiten. Das bringt der Spruch zum Ausdruck, wonach es nur eines gibt, was schlimmer sei als die Ausbeutung: nämlich nicht ausgebeutet zu werden. Das Land Grabbing beispielsweise vertreibt im Extremfall die Nutzerinnen und Nutzer des Landes, ohne dass ihre Arbeitskraft noch von Interesse wäre. Man will die Ressourcen, die Menschen braucht das Kapital nicht unbedingt.

Strategische Akteure

Das Nyéléni-Forum hat sich vor allem die Erarbeitung von Strategien der Ernährungssouveränität zum Ziel gesetzt. Dabei spielen Commons eine bedeutende Rolle, nicht zuletzt in Hinblick auf den Zugang zu Land. Strategische Überlegungen müssen immer bei den konkreten, relevanten Akteuren ansetzen. Für Auseinandersetzungen um den Zugang zu Land sind die das Land ackerbaulich bewirtschaftenden Akteure der erste Anknüpfungspunkt. Diese Akteure sind allerdings sozial und politisch einigermaßen heterogen, weshalb ein näherer Blick auf ihre Differenzen lohnt.

In Anlehnung an Jan Douwe van der Ploeg lassen sich drei das Land bewirtschaftende Gruppen unterscheiden. Zuerst einmal die kapitalistischen Farmer, die Lohnarbeit einsetzen und selbst nicht mehr im Betrieb oder in ihren Betrieben mitarbeiten. Sie konzentrieren sich vielmehr auf die Vermehrung ihres Kapitals und die dafür nötigen Operationen. Ein Beispiel dafür sind die Eigentümer großer Investmentfonds, die in Agrarunternehmen investieren oder die Eigentümer von Plantagen.

Die zweite Gruppe besteht aus unternehmerischen Landwirtinnen und Landwirten. Sie arbeiten im Betrieb selbst mit, ihr Handeln leitet jedoch vor allem eine Markt- und Profitorientierung. Solche Betriebe setzen auch regelmäßig Lohnarbeit ein.

Die dritte Gruppe schließlich umfasst die Bäuerinnen und Bauern. Sie setzen keine oder kaum Lohnarbeit ein, sie tragen den Betrieb vielmehr mit ihrer eigenen Arbeitskraft. Zum Markt haben sie ein strategisches Verhältnis, das heißt, sie produzieren auch für den Verkauf, wenngleich nicht profitorientiert, allerdings vorrangig um ihren Betrieb zu sichern und die damit verbundene relative Autonomie zu erhalten. Diesem Zweck dient auch die Kombination von Einkommen aus der Landwirtschaft mit Haupt- oder Nebenerwerbstätigkeiten in anderen Sektoren.

Diese Gruppen sind nicht statisch, sondern es gibt Auf- und Abstiegsprozesse, das heißt Bäuerinnen und Bauern können unternehmerische Orientierungen entwickeln, kapitalistische Farmer können zum Beispiel aufgrund wirtschaftlicher Schwierigkeiten zu Unternehmern werden.

Bemerkenswerterweise sind die Bäuerinnen und Bauern weltweit gesehen die zahlenmäßig wichtigste Gruppe geblieben. Aufgrund der enormen, vor allem durch die fossilen Ressourcen ermöglichten Produktivitätssteigerungen jedoch ist sie heute im Norden soziologisch bedeutungslos geworden und stellt nur jeweils wenige Prozent der Landesbevölkerung.

Hierin besteht eine grundlegende Differenz zum globalen Süden, die auch politisch von großer Bedeutung ist. Weil im Süden ein Großteil der Menschen bäuerlich wirtschaftet, hat zum Beispiel eine Umverteilung von Land einen direkten demokratisierenden Effekt, mit massiven gesellschaftlichen Auswirkungen. Im Norden dagegen würde eine solche Maßnahme praktisch nur eine geringe Rolle spielen, weil sie als solche nur einen sehr kleinen Teil der Bevölkerung betrifft. Ernährungssouveränität und die Frage des Landzugangs müssen daher meines Erachtens im Norden anders gestellt werden und verlangen nach spezifischen Antworten.

Grundlegende Bedeutungen von Ernährungssouveränität

Wenn Ernährungssouveränität eine Demokratisierung der Gesellschaft insgesamt bedeutet, mit dem Recht auf Nahrung in ihrem Zentrum, und wenn sie auf eine Überwindung der kapitalistischen Produktionsweise abzielt, um die Voraussetzung für ein gutes ökologisches Verhältnis zu schaffen, dann bedeutet Ernährungssouveränität im Süden also etwas anderes als im Norden.

Im Süden kann die Forderung nach Zugang zu Land für alle Bäuerinnen und Bauern – zusammen mit den anderen für das Wirtschaften notwendigen Produktionsmitteln, von Saatgut und Maschinen bis zu Wissen – im Zentrum stehen. Im Norden dagegen muss vor allem einmal die Trennung zwischen den Bäuerinnen und Bauern und den Lohnabhängigen überwunden werden, und zwar sowohl politisch als auch materiell. In einer solchen Perspektive geht es darum, einerseits die Abhängigkeit der Bauernschaft vom Markt zu überwinden, andererseits die Trennung der Lohnabhängigen von den Produktions- und Konsummitteln – vor allem auch im Ernährungssystem. Es geht also um eine Art von Klassenallianz, um gegen das Kapital und einen Staat, der die kapitalistische Wirtschaftsweise stützt, Forderungen durchzusetzen und die Produktionsverhältnisse zu verändern.

Soziale Bewegungen mit dem Ziel einer Ernährungssouveränität müssen so gesehen danach trachten, die zweifache Trennung, die der Kapitalismus setzt, zu überschreiten. Dafür ist zuerst einmal die Kooperation von Bauernschaft und Lohnabhängigen erforderlich. Nur sie kann zu einer Zurückdrängung des Marktes und der Kapitalabhängigkeit der Produktion führen.

Dafür spielen die Bäuerinnen und Bauern im Sinn des skizzierten Akteursmodells eine wesentliche, aber nicht die alleinige Rolle. Sie produzieren zwar im Rahmen des Kapitalismus, wirtschaften selbst jedoch nicht-kapitalistisch. Für sie ist daher weniger eine Marktorientierung ausschlaggebend, sondern eher eine Logik von Autonomie und Subsistenz. Tendenziell haben sie ein deutliches Eigeninteresse, die natürlichen und damit auch betrieblichen Produktionsgrundlagen zu erhalten.

Eine dynamische Commons-Strategie

Ein solcher strategischer Zugang zur Commonsfrage impliziert ein starkes dynamisches Moment. Das Ziel wäre dann nicht eine einfache „Stärkung der Bauernschaft“, wie es traditionell gesehen wurde. Vielmehr wäre die Klassenposition sowohl der Bäuerinnen und Bauern als auch der Lohnabhängigen zu hinterfragen und letztlich in kooperative Beziehungen aufzulösen. Die Klassenlage als scheinbar unabhängige bäuerliche Produzierende ist in dieser Sicht ebenso wenig wünschenswert wie die Lohnabhängigkeit. Beide müssten einer kooperativen, solidarischen Produktionsweise weichen, die weder Bauern oder Bäuerinnen im heutigen Sinn, noch Lohnabhängige mehr kennen würde.

Zugang zu Land zu schaffen bedeutet folglich eine Demokratisierung des Landzugangs im Sinn einer Ausweitung von Commons. Diese Ausweitung kann schwerlich in Form einer Einengung auf eine exkludierende „Gemeinschaft“ geschehen, die häufig als ein konstitutiver Bestandteil von Commons gesehen wird. Es geht vielmehr um eine selbstorganisierte Infrastruktur des Rechts auf Nahrung.

Welche konkreten Strategien sind nun für die Schaffung von Commons an Land dienlich? Grundsätzlich sind drei Ansätze denkbar. Erstens kann Land besetzt werden. Es handelt sich um eine bottom-up-Strategie, die mit dem Widerstand staatlicher Organe zu rechnen hat. Der Staat ist dabei immer mitzudenken, weil er Besetzungen, wenn sie gehalten werden, letztlich legitimieren muss.

Zweitens kann Land dem Markt per Kauf entzogen werden, wenn es etwa in Landstiftungen als ein Commons vor erneutem Verkauf geschützt und mehr oder weniger kollektiv genutzt wird.

Drittens könnte man Modelle der Community Supported Agriculture (CSA), also einer gemeinschaftsgetragenen Landwirtschaft als Ansatz für einen kollektiven Zugang zu Land betrachten.

In einer CSA kooperieren Bäuerinnen und Bauern mit Lohnabhängigen. Zwei Klassenpositionen, die ansonsten nur hochgradig vermittelt über Supermärkte, Verarbeiter und Zulieferer in Kontakt treten, können in einem solchen Rahmen eine von Solidarität geprägte Art von Verhältnis entwickeln. Dieses Verhältnis ist allerdings strukturell widersprüchlich. Während die bäuerlich Produzierenden schwerpunktmäßig am Tauschwert interessiert sind, interessiert die (meist lohnabhängigen) Konsumierenden einer CSA vor allem der Gebrauchswert, also ein gutes Lebensmittel, vielleicht auch das affektive Erlebnis des Kontaktes mit dem Produzierenden und des Austauschs in der Gruppe. Beide Klassenpositionen sind über die notwendigen Markttransaktionen zur Beschaffung von Produktionsmitteln (Traktor etc.) oder von Geld für den Konsum vom Kapital abhängig. Zwar orientieren sich beide Akteure im optimalen Fall an ihrem wechselseitigen Wohlergehen, dennoch bleibt im Rahmen einer Marktwirtschaft ein innerer Widerspruch, ein Antagonismus bestehen.

Das Recht auf Nahrung kann hier nur unzureichend umgesetzt werden, solange für Lebensmittel zu bezahlen ist, und die Produzierenden auf Geldeinkommen angewiesen sind.

Dennoch bergen CSAs das Potenzial, dass Lohnabhängige und bäuerlich Produzierende ihre wechselseitige Abhängigkeit erkennen. Gerade diese Erkenntnis einer wechselseitigen Abhängigkeit ist die zentrale Voraussetzung zur Überwindung der Trennungen, die der Kapitalismus setzt.

Gleichheit, Kooperation und das Recht auf Nahrung

Um einer solchen Perspektive wirklich näher zu kommen, müsste die Kooperation freilich viel größere Ausmaße erreichen als die Multiplikation vereinzelter CSAs. Sie müsste beispielsweise Vorleistungen sowie die Herstellung von Produktionsmitteln umfassen. Eine regionale Kooperation und solidarische Arbeitsteilung zwischen den Betrieben wäre zu entwickeln. Utopisch ist das nicht. Beispielsweise unternahmen soziale Bewegungen in der Zwischenkriegszeit Schritte zu einem solchen differenzierten genossenschaftlich organisierten System demokratischer Produktion.

Die hier skizzierte politische Orientierung einer Schaffung von Gemeingütern an Land kann viele Formen annehmen. Der Aktivismus gegen weitere Flächenversiegelung gehört dazu genauso wie die Entwicklung von „essbaren Städten“. Auch eine Forderung nach Begrenzung des Flächeneigentums bzw. von Betriebsgrößen wäre sinnvoll. Alle diese Formen sollten indes auf das Recht auf Nahrung zielen, nicht zuletzt um den exkludierenden Tendenzen von Gemeingütern zu begegnen. Denn der Zugang zu Land ist kein Selbstzweck, sondern ein Mittel für gute Lebensmittel für alle Menschen.

Dieser Artikel erschien zuerst auf kärnöl – Independent Carinthian Art & Cult

 

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